Harninkontinenz: Incontinentia urinae oder Incontinentia vesicae, Inkontinenz für Urin; die Unfähigkeit, Urin kontrolliert zu entleeren. Formen: Vgl. Übersicht weiter unten. Ursachen: 1. Neurologische Störungen der Harnblase (des Harnblasenmuskels) durch a) verminderte Blasengröße, die durch eine erhöhte Grundspannung (Tonus) bei spastischer Harnblase verursacht wird, b) mangelnde Dehnbarkeit bei spastischer Harnblase, c) eingeschränkte oder aufgehobene Fähigkeit der Harnblase, sich zusammenzuziehen, wenn eine schlaffe Lähmung vorliegt oder die Harnblase medikamentös entspannt wird. 2. Störungen des Blasenverschlusses: a) durch verminderte oder b) durch krankhaft erhöhte Grundspanung (Tonus) der Harnblasenschließmuskel. 3. Unkontrollierte Entleerung: a) durch die eingeschränkte oder fehlende Wahrnehmung der Blasenfüllung und / oder von Harn­drang, b) durch spontane, unkontrollierte Muskelaktivität des Blasenmuskels, c) wenn sich der Blasenmuskel  zwar  anspannt,  um  Urin  zu entleeren, aber die Harnblasenschließmuskel sich nicht öffnen (Blasen-Sphinkter-Dyssynergie), d) durch fehlende Kontrolle der Beckenbodenmuskulatur, wodurch der Beckenboden lähmungsbedingt nicht angehoben werden kann, e) durch die Unfähigkeit, eine Bauchpresse auszuführen. Diagnose: Die Form der H. und die sich hieraus ergebenden therapeutischen Möglichkeiten können durch eine Blasendruckmessung genauer beschrieben werden. Folgen: 1. Geruchsbehinderung, 2. bakterielle Verunreinigung der Haut mit a) Hautreizungen oder Hautentzündungen, b) Harnwegsinfektionen. Therapeutische Möglichkeiten: 1. Konservative Be­hand­lung: a) medikamentöse Harnblasenentspannung, womit u.a. eine für die Kontinenz wichtige Vergrößerung der Harnblasenkapazität zu erreichen ist (Harnblasenentspannung); b) regelmäßige Entleerung der Harnblase durch geeignete Techniken (Harnblase, Entleerungstechniken); c) regelmäßige Entleerung des Darmes, weil ein gefüllter Darm die Blasengröße vermindern und den Abfluss von Urin behindern kann; d) vorübergehende medikamentöse Einschränkung der Harnbildung und damit der Inkontinenz durch Desmopressin; e) Tragen von Windeln, Vorlagen. 2. Operative Möglichkeiten: a) Anlegen einer künstlichen Harnableitung; b) Faszienzügelplastik. Sozialrechtliche Auswirkungen: Durch den (häufig) ständigen Verlust von Körperausscheidungen ist ein besonderer pflegerischer Aufwand erforderlich, um die Folgen der Inkontinenz an der Haut (Reizungen, Entzündungen, Begünstigung der Entstehung von Druckstellen und Dekubiti) sowie eine störende Geruchsentwicklung zu vermeiden. Dieser Aufwand ist maßgeblich für die (versorgungsrechtliche) Bewertung der Hilflosigkeit.

 

Formen der Harninkontinenz nach möglichen Ursachen

Drang(Urge-) inkontinenz,

auch: Motor-Urgeinkontinenz, à over-active-bladder

auch: imperativer Harndrang, imperative Miktion, urge-incontinence. Zwanghafter Harndrang durch nicht unterdrückbares Zusammenziehen (Kontraktion) der Harnblase bei erhaltener Sensibilität und erhaltenem Harnröhrenverschluss, bei dem es zu unkontrolliertem Harnabgang (Inkontinenz) kommt. Die ausgeschiedene Urinmenge ist (im Vergleich zu der vorhandenen Urinmenge) gering.

Drang(Urge-)inkontinenz, bei neurologisch gestörter Harnblase: Reflexinkontinenz

Stressinkontinenz

auch: Belastungsinkontinenz. Urinverlust bei Druck­erhöhung im Bauchraum bei nicht ausreichender Funktion der Muskeln, die die Harnblase verschließen. Grade: Grad 1: Harnverlust bei Niesen, Husten, Lachen, Heben. Grad 2: Harnverlust beim Gehen, Treppensteigen, Aufstehen. Grad 3: Harnverlust im Liegen.

Ursachen: a) Erhöhung des Druckes im Bauch bei gleichzeitig bestehender Schwäche des Harnblasenverschlusses (Beckenbodeninsuffizienz). b) krankhafte Überaktivität des Blasen(hohl)muskels (vgl. Harnblasenlähmung). c) (Teil-) Lähmung der Harnblasenschließmuskel und des Beckenbodens.

Reflexinkontinenz

Zwanghafter, nicht zu unterdrückender Harndrang durch unkontrollierte Kontraktionen der Harnblase (De­trusorkontraktionen) und unkontrollierter Harnabgang (Inkontinenz) bei eingeschränkter oder fehlender Sensibilität für die Füllung der Harnblase bei neurologischen Erkrankungen der Harnblase. Die ausgeschiedene Urinmenge ist (im Vergleich zu der vorhandenen Urinmenge) gering.

Mögliche Ursachen: Neurologische Störung der Harnblasenfunktion mit Überaktivität (Hypertonie) der Harnblase (Harnblasenlähmung) mit meist kleiner Blasenkapazität. Durch Harnwegsinfektionen verstärkt sich die Reflexinkontinenz.

Therapie: je nach Ursache: Medikamentöse Harnblasenentspannung, regelmäßige Harnblasenentleerung, Behandlung von Infektionen.

Überlauf-

inkontinenz

Sog. falsche Harninkontinenz. Unkontrollierter Harnverlust ohne Aktivität des Harnblasenmuskels. Zum unwillkürlichen Urinverlust kommt es, wenn der Druck in der Harnblase höher ist als die Verschlusskraft des Harnblasenverschlusses.

Ursache: Überdehnung, schlaffe Lähmung oder auch medikamentöse Dämpfung (!) des Harnblasen(hohl)muskels (vgl. Überlaufblase) durch a) mangelnde Fähigkeit der Harnblase, sich auszudehnen (low compliance bladder) oder b) durch stärkeres Harnabflusshindernis (z.B. Harnröhrenstriktur, z.B. Prostatahyperplasie). Therapie: Regelmäßige Blasenentleerung (vgl. Harnblase, Entleerungstechniken); Therapie des Harnabflusshindernisses. (S)

 

Inkontinenzformen nach funktionellen Gesichtspunkten

passive Harninkontinenz

der dem Willen entzogene, unbemerkte Harnabgang

permanente

Harninkontinenz

Ständiger Harnverlust in größeren und kleineren Mengen über einen längeren Zeitraum

absolute Harninkontinenz

ständiges Harnträufeln, d.h. häufiger bis ständiger Verlust kleiner Urinmengen bei kleiner Kapazität der Harnblase

paradoxe Harninkontinenz

Abgang von kleinen Mengen Urin trotz gefüllter Harnblase

   
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